Lyrik020

Samstag, 8. August 2009

020-002 Der gestohlene Schlüssel

Es ist schon lange her, daß die Menschen auf unserer Erde keine Schlüssel kannten, weil sie nämlich in alter Zeit gar keine brauchten.

Doch einmal gab es jemanden, der eine ganz neue Angst hatte, eine die niemand sonst kannte und die wohl auch nicht recht wußte, von woher sie gekommen war.

Ein älterer Mann versuchte, sich abzutrennen von seinen Nachbarn, teilte nicht sein Brot und sein Wasser mit ihnen und ging sogar allein auf die Jagd. Mit der Beute schlich er sich in tiefschwarzer Nacht in seine Behausung zurück, stellte Tisch und Stuhl zu seinem Schutze vor die Tür und legte sich zitternd auf seinem Lager nieder. Ständig war er auf der Hut vor anderen Menschen, mochte nicht teilen und tauschte auch keine Erfahrungen mit ihnen aus.

Er wurde immer einsamer, weil er nur für sich lebte, niemandem eine Freude machte und auch nicht zuließ, daß man mit ihm teilte, was die anderen hatten.

So kam es, daß er eines Tages sogar seinen Namen nicht mehr wußte, denn es war Jahre her, daß jemand ihn angeredet hatte.

Manchmal klopfte es an seine Tür, aber nie waren es Freunde, ab und zu ein Fliegender Händler oder ein Prediger auf der Durchreise. Er öffnete nie, fand die Störungen lästig und sann über eine haltbare Verriegelung seiner Türen nach.

Er schnitzte sich einen Keil, den er so fest unter die Tür schob, daß sie schon ächzte und furchtbar knackte. Dann fand er einen passenden Zweig für einen Pflock, den er derart durch die Türfläche rammte, daß sie kaum mehr zu öffnen war.

Der Alte war mit seiner Arbeit aber zufrieden und nannte das Teil Schlüssel. Und fortan ging er nie mehr ohne Schlüssel aus dem Haus. Und die Nachbarn sahen ihn von nun an nur noch schließen und immer wieder schließen.

So ging es Jahr um Jahr bis einer schließlich die Unerträglichkeit der Geheimnisse nicht mehr ertrug und das gesamte Dorf aufwiegelte, die Hütte des Fremdgebliebenen zu stürmen, um zu sehen, was er vor ihnen verloß.

Die Männer dachten an unerlaubte Jagdbeute, die Frauen glaubten, nur Gold und Silber könne es wert sein, derart bewacht zu werden.

Das ganze Dorf hatte sich in Einigkeit unter der großen Linde versammelt, unter der Linde am Ententeich, um gemeinsam den kleinen, schmalen Weg zu gehen, der zu der Hütte des fremdartigen Mannes führte. Alle wußten, daß der alte Mann nicht im Haus sein würde, sondern am Waldrand unter der Eiche schlief.

So verbrachte er seine gesamte Zeit, denn vor vielen Jahren war ihm seine Frau im Kindbett gestorben und bald darauf folgte der kleine Junge seiner Mutter.

Der Mann hielt es nicht mehr aus in dem Häuschen ohne Liebe und Wärme, verkaufte es kurzerhand und schnürte sein Bündel für einen langen, beschwerlichen Weg in eine traurige Zukunft. Wortkarg war er, manchmal grimmig und für Kinder hatte er nicht viel übrig.

Man überließ ihm eine kleine Hütte mit einem Bett, einem Tisch mit Stuhl und er baute ein Regal für Teller und Tasse.

Der kleine Garten gab her, was er für sich brauchte, doch ihn quälte die Sehnsucht nach seiner Frau und den Sohn. So verbrachte er die Tage lieber unter der Eiche und dorthin nahm er auch den Schlüssel immer mit.

Niemand wußte von seinem Schicksal, und nun war das ganze Dorf unterwegs, um sein Haus zu stürmen und ihn damit zu entblößen. Ein kleines munteres Kerlchen stibitzte ihm den Schlüssel aus der Rocktasche, denn so brauchten sie nicht erst die Tür einzuschlagen.

Doch, als die Tür geöffnet war, und alles abgesucht nach verbotenem Gut oder Reichtümern waren alle bestürzt. Sie fanden 1 Kilo Mehl, ein halbes Kilo Zucker, 2 Liter Milch, etwas Tabak und 1 Stück Seife. Das Bett war frischbezogen, weil unbenutzt und trotz dieser Kargheit spürten alle, daß hier mehr war, als in ihren eigenen Häusern, die die Frauen dort schmuck hergerichtet hatten. Sie spürten Frieden und Liebe, aber wohl auch Trauer, alle schämten sich , und als sie die Schritte des alten Mannes hörten, erschraken sie heftig.

Doch nichts geschah, kein Zorn, kein Streit, der Mann setzte den blanken Kessel auf den Herd, kochte Wasser für einen guten Tee aus Wildblüten. Alle waren starr und stumm, bis der Alte sagte, er hätte das Stibitzen des Schlüssels bemerkt, hätte die Schar vorbeiziehen sehen, und hätte sich gedacht, alle hier zu treffen.

Alle bekamen großen Respekt vor dem Mann, umarmten sich untereinander, tranken seinen köstlichen Tee, und als er die Kleinsten des Dorfes auf seine Knie nahm, rannen ihm Tränen über das welke Antlitz und bis tief in die schwarze Nacht erzählte er seine Geschichte, wie sehr er seine liebe Frau verehrt hatte und den kleinen Sohn geliebt.

Er ersann den Trick mit dem Keil und dem Pflock, weil er Furcht hatte, seine geliebten Erinnerungen zu verlieren. Er lebe nur in der Vergangenheit, und alle schämten sich ein wenig, seine Ehrlichkeit und seine Güte nicht erkannt zu haben.

Fortan lebten alle viel näher, viel gemeinsamer. Es wurde das allerschönste Dorf der Welt, weil die Liebe eingezogen war.

Sonntag, 12. Juli 2009

020001 Der geliehene Tag

Es war vor langer, langer Zeit einmal so auf der Erde, daß die Tage einzeln vom Himmel kamen und immer ordentlich in der Reihenfolge.

So wußte jeder Tag immer ganz genau, wann er dran war, auf die Erde herunterzugehen, und er konnte sich gut darauf vorbereiten. Nun gab es aber damals hinter dem Himmel, dort, wo die Tage ihr Zuhause hatten, oftmals eine große Rangelei und die jungen Tage, die noch sehr wild waren, wollten einander aus der Reihenfolge drängen. Das aber erlaubten die älteren weisen Tage, die alle Jahre wieder auf die Erde gingen, nicht, und sie hielten die ingestümen Kollegen zurück.

Die Jungen mußten ja erst noch lernen, was überhaupt auf der Erde zu tun sei und immer, wenn eine Konferenz abgehalten wurde, alberten sie herum, machten ihre Späße und wußten alles besser. Die älteren Tage waren darüber sehr erbost und beratschlagten, wie sie die jungen Leute lehren könnten, ihre Aufgaben mit mehr Ernst zu erledigen.

Alle scharten sich um einen 1. Januar herum, der schon seit Jahrhunderten Erfahrung hatte, viel gesehen und erlebt hatte und lauschten andächtig seiner Meinung. Der wiegte sein Haupt bedenklich hin und her, zog an seiner uralten Pfeife und schlug schließlich vor, eine Art Springer-Truppe zu gründen, deren Mitglieder immer dann auf der Erde einspringen sollten, wenn einer der vorlauten jungen Tage aussetzen mußte.

Dieser Vorschlag fand bei den meisten älteren Kollegen großen Anklang, denn zu groß war der Verdruß über die junge Schar.

Als der Vorschlag beschlossen war, trampelten alle anwesenden Tage so laut und ausgelassen auf dem Boden herum, daß der Himmel erzitterte und der Tag, der gerade Dienst auf der Erde machte, sich wunderte, weil er doch weder Donner noch Blitz oder Hagelstürme vorgesehen hatte. Im Gegenteil: Er war stolz, einen heißen, staubigen Sommertag hinterlassen zu haben, an dem die Menschen und die Tiere gar keine Freude gehabt hatten, weil fast alle Wasserläufe nicht mehr genügend Wasser führten.

Doch, nach seiner Tagesmüh' ließ er sich an einem goldenen Seil in den Raum hinter dem Himmel ziehen und sackte stolz und erschöpft auf einen Sessel.

Anderntags aber brach eine schwere Krankheit aus, ein Tag nach dem anderen mußte sich auf seine Schlafmatte begeben und konnte sich für seinen Dienst auf der Erde nicht abseilen lassen. Nur die jungen Kerle hielten der geheimnisvollen Krankheit stand, durften ja aber nicht allein auf die Erde und ihre aufregende Arbeit tun.

Doch so mancher hatte Verbindung zu den Tagen einer anderen Organisation, die zwar unerlaubt war und deren Kontakte schwer geahndet wurden, sobald es einmal herauskam. Doch so ungestüm die jungen, wilden Tage noch waren, sie hatten bereits eine große Portion Verantwortungsgefühl und weil sie bei der Unpäßlichkeit ihrer Oberen, die eine richtig häßliche Epidemie wurde, die einzigen Gesunden waren, schmiedeten sie einen Plan: Derjenige, mit den besten Verbindungen zur Welt der anderen Tage, sollte dort seinen Freund benachrichtigen, damit wenigstens ein Tag auf die Erde ginge und die Menschen nicht alleine ließe.

Und so geschah es denn auch, daß ein erfahrener Höllen-Tag auf die Erde ging, indem er eine lange, verrußte Treppe hinaufstieg und auf der Erde tat, was getan werden mußte. Im Raum hinter dem Himmel klatschten die Jungen vor Freude in die Hände, weil kein Tag verloren gegangen war und in dem großen Gehege unter der schwarzen Treppe waren alle Tage heiß und rot vor Stolz, daß einer von ihnen eine so wichtige Aufgabe wahrnahm.

Alles verlief glücklich und noch bevor im Raum
hinter dem Himmel die Ältesten wieder aufgestanden waren, war der Tag aus dem Saal unter der Treppe lange schon verschwunden und schlief drei Tage hintereinander, weil es so anstrengend war, einen Tag lang gut gewesen zu sein.

Seit diesem Tag ist es öfter vorgekommen, daß ein Tag ausgeliehen wurde und alle sind gut damit gefahren und glücklich geworden.

Und mir, ja, mir ist wohl seit dem Tag Himmel und Hölle so nah.

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